Himmelbeeren

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“Mama, wie ist es wenn ich tot bin?”

“Ich weiß es nicht, Mäusekind.” antwortet die Mutter, die am Bett sitzt.

“Wirst du und Papa bei mir sein, wenn ich tot bin?”

Sanft streicht sie ihrem Kind über die blonden Haare.

“Ja, Mäuselchen, wir werden bei dir sein” – was sollte sie ihrem Kind auch anderes sagen?

“Legt ihr euch zu mir?” flüstert das Mädchen.

“Natürlich meine Maus” sagt der Vater, der hinter der Mutter steht und legt sich auf der anderen Seite des Kindes in das Ehebett.

“Ich hab noch nie sowas leckeres wie Himmelbeeren gegessen” flüstert das Mädchen wieder und schließt die Augen.

“Himbeeren” korrigierte der Vater mit erstickter Stimme.

“Ich weiß, meine Maus, Himmelbeeren sind das Leckerste!” sagt die Mutter und streicht dem Kind wieder über die Haare.

Fünf Jahre währte das Glück.

Fünf wundervolle Jahre.

Lange Zeit hatten sie vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen. Nichts hatte geholfen.

Die Natur hatte ihnen das letzte Glück ihrer Beziehung lange Zeit vorenthalten.

Als sie schon nicht mehr damit rechneten wurde die Frau zu Beider Freude schwanger.

Fünf Jahre währte das Glück – bis zu diesem Tag.

Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien heut morgen nicht, denn eine dicke Schicht Wolken hatte sich davor geschoben. Sie konnten seit Wochen das erste Mal ins Freie gehen, ohne sofort Strahlenbrand zu bekommen. Es war trotz der Wolken ein warmer Morgen, deshalb wollten sie auf der Terrasse frühstücken. Der Vater war extra zu einem Einkaufszentrum gefahren, um dort natürliche Brötchen zu holen. Er hatte dafür ein ganzes Monatsgehalt gezahlt. Die Mutter und die Kleine hatten den Tisch gedeckt. Ein frisches Ei, das sie von einem Nachbarn geschenkt bekamen, Butterersatz, BASF-Gelb als  Orangensaft, UnileverBlack als Kaffeeersatz und schweizer Brotaufstrich aus Hefe.

Nach dem Frühstück hatten sie zu Dritt im früher so bunten Garten herumgetollt. Heut war er nur noch ein staubiger und vertrockneter Schatten vergangener Tage. Doch das konnte ihnen an diesem Tag die Freude nicht verderben. Sie hatten das alte Trampolin herausgeholt und sprangen jauchzend darauf herum. Auch eine Runde Fangerle durfte nicht fehlen.

Fast wie in alten Zeiten.

Bar jeder Logik hatte sich ein kleiner Strauch Himbeeren gegen die Trockenheit durchgesetzt und ein paar winzige Früchte hervorgebracht.

Das Mädchen hatte, angezogen von der leuchtend roten Farbe der Beeren und unwissend über die Veränderung, ein paar Himbeeren genascht.

Als Mutter und Vater es bemerkten, war es bereits zu spät. Nichts konnte das Schicksal noch aufhalten.

So brachten sie ihr Mädchen unter Tränen nach oben ins Schlafzimmer und legten sich neben sie, um Abschied zu nehmen.

Die Mutter streichelt dem Mädchen wieder über den Kopf und die Wangen. Der Vater nimmt ihre Hand und hält sie sanft fest.

Die Kleine hat aufgehört zu atmen.

“Ich habe uns Himmelbeeren gepflückt” sagt der Vater und öffnet seine Hand in der ein paar Himbeeren liegen. Die Mutter schaut ihm in die Augen.

“Ja, Himmelbeeren…” Sie nimmt ein paar und steckt sie sich in den Mund. Der Vater isst den Rest.

“Ich liebe dich!” sagt der Vater.

“Und ich dich!”

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